Bundesgerichtshof revidiert Urteil im spektakulären Fall des giftmischenden Orchestermusikers

Der Bundesgerichtshof (BGH) in Leipzig hat am 12. und 26. Juni 2024 eine richtungsweisende Entscheidung im Fall eines Orchestermusikers getroffen, der wegen versuchten Mordes und gefährlicher Körperverletzung angeklagt war. Der Fall, der die Klassikwelt erschütterte, wirft ein Schlaglicht auf die dunklen Seiten des Musikbetriebs und die juristischen Herausforderungen bei der Bewertung von Vorsatz und Motiv.

 

Der Angeklagte: Ein renommierter 1. Konzertmeister

Im Zentrum des Falles steht ein langjähriger 1. Konzertmeister eines angesehenen Sinfonieorchesters. Seine musikalische Karriere nahm eine düstere Wendung, als er 2019 Tötungsphantasien gegen den 2. Konzertmeister entwickelte. Er fühlte sich von diesem schikaniert und bestellte als Reaktion darauf über das Internet eine große Menge des Rattengifts Brodifacoum – ein Stoff, der bereits in geringen Dosen tödlich wirken kann.

 

Die Taten: Von der Mutter zu den Kollegen

Im September 2022 setzte der Musiker seine Mordpläne in die Tat um – allerdings nicht gegen den ursprünglich anvisierten Kollegen. Stattdessen vergiftete er seine in einem Seniorenheim lebende Mutter, indem er das Gift in ihr Essen mischte. Trotz lebensbedrohlicher Blutungen konnte die Seniorin gerettet werden.

Kurz darauf weitete der Täter seine Angriffe auf zwei Orchesterkollegen aus. Auf einer Busfahrt nach einem Konzert reichte er ihnen einen selbst zubereiteten Frischkäsedip, der ebenfalls mit dem Rattengift versetzt war. Auch diese beiden Opfer erlitten schwere Blutungen, konnten aber gerettet werden.

Das ursprüngliche Urteil des Landgerichts Hannover

Das Landgericht Hannover verurteilte den Angeklagten am 23. Oktober 2023 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechseinhalb Jahren. Dabei wurde der Anschlag auf die Mutter als versuchter Heimtückemord in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung gewertet. Bei den Orchesterkollegen ging das Gericht jedoch nur von gefährlicher Körperverletzung aus, da es keinen Tötungsvorsatz erkannte. Das Gericht argumentierte, der Angeklagte habe den Kollegen lediglich einen „Denkzettel“ verpassen wollen, weil sie ihn in seinen Konflikten mit dem 2. Konzertmeister nicht unterstützt hätten.

Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs

Der 6. Strafsenat des BGH bestätigte am 12. Juni 2024 das Urteil hinsichtlich des Anschlags auf die Mutter. Allerdings hob er die Entscheidung bezüglich der Vergiftung der Orchesterkollegen auf. Die Begründung: Die Argumentation des Landgerichts, mit der ein Tötungsvorsatz abgelehnt wurde, sei rechtlich nicht haltbar. Der BGH kritisierte, dass das Landgericht zugunsten des Angeklagten Annahmen getroffen habe, für die es keine konkreten Beweise gab.

 

Konsequenzen und Ausblick

Der Fall muss nun in Bezug auf die Vergiftung der Orchesterkollegen neu verhandelt werden. Es besteht die Möglichkeit, dass auch diese Tat als versuchter Mord eingestuft wird, was eine deutlich höhere Strafe zur Folge haben könnte.

Dieser außergewöhnliche Fall beleuchtet nicht nur die Schattenseiten des Kulturbetriebs, sondern auch die Komplexität juristischer Entscheidungsfindung. Er zeigt, wie schwierig es sein kann, Vorsatz und Motive eines Täters eindeutig zu bestimmen, besonders wenn es um den schmalen Grat zwischen dem Wunsch, jemandem zu schaden, und der Absicht zu töten geht.

Der Fall wirft zudem Fragen nach den Arbeitsbedingungen und zwischenmenschlichen Beziehungen in Orchestern auf. Wie konnte es so weit kommen, dass ein hoch qualifizierter Musiker zu solch drastischen Mitteln griff? Welche Rolle spielten Konkurrenz, Druck und möglicherweise mangelnde Konfliktlösungsmechanismen in diesem renommierten Ensemble?

Während die juristische Aufarbeitung weitergeht, bleibt zu hoffen, dass dieser Fall als Weckruf dient – nicht nur für die Justiz, sondern auch für Kulturinstitutionen, um Konflikte frühzeitig zu erkennen und zu entschärfen, bevor sie solch dramatische Ausmaße annehmen.

 

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